Concert
ALELA DIANE
Alela Diane Menig aus dem kalifornischen Nevada City schaut auf dem braunstichigen Cover ihres mit vierjähriger (!) Verspätung in Deutschland erhältlichen Langspiel-Debüts bemerkenswert unzeitgemäß aus: schürzenhaftes, miniaturbemustertes Kleid, langes, in zwei Zöpfe geflochtenes Haar, nachdenklich-versonnener und doch selbstbewusst-angstfreier Blick, dahinter Blattwerk und Unterholz. Wie aus einem Cover der legendären Incredible String Band kopiert. Mit anderen Worten: Es besteht visueller Hippieverdacht.
Absortiert wird sie denn auch bevorzugt in der Neo-Psych-Folk-/New-Weird-America-Ecke, gern vergleicht man sie mit der verhuschten Kakophonie-Folkerin Joanna Newsom, die aus der gleichen Stadt stammt und ihr erste Auftrittsmöglichkeiten bot. Doch dieser Vergleich hinkt: Die ungeheuer deepe und sanfte Stimme Alela Dianes, die Gospel, Soul und Folk offenbar mit der Muttermilch aufgesogen hat, lässt sich nicht wirklich mit der zwölfjährigenhaften Durchgeschossenheit des Newsomschen Singens vergleichen. Auch ihre Musik hat nichts von der Verspieltheit des Newsom-Œuvres, dem manchmal auch die Kunstanstrengung etwas unschön Björkesk aus den Poren dringt.
Nein: Alela Diane spielt mit minimalstem Aufwand, der meist kaum über das nicht einmal allzu begnadete Zupfen einer akustischen Gitarre hinausgeht, einen ergreifenden Folk, der seinesgleichen sucht. Sie verlässt sich dabei ganz auf die Ausdruckskraft ihrer Stimme und ihre natürliche Fähigkeit, jedem noch so winzigen und bei einem solch reduzierten Album umso auffälligeren Klangdetail – Handclaps, spooky Backing-Flüstern, Pfeifen, ein kleiner Kinderchor – souverän genau den Platz zuzuweisen, an den es gehört. Dabei ist unglaublich, wie sehr man ihr den Blues – im Gegensatz zu stimmlich prinzipiell nicht unähnlichen Kolleginnen wie Stephanie Dosen oder Anna Ternheim – abnimmt, mit welch natürlicher Kraft und Lebenserfahrungsanmutung sie, die erst 24-Jährige, ihre pastoralen Weisen singt. Live strahlt sie große Sicherheit und Weisheit aus, womit sie sich wohltuend vom derzeit so erfolgreichen Verletzlichkeitsparadigma elfenhaft-entkörperlichten, ätherischen weiblichen Singens abhebt.
Nicht stimmlich, aber was die dunkle Atmosphäre und den Minimalismus angeht, erinnert mich Alela Diane an das Frühwerk der großen britischen Folk-Sängerin Shirley Collins. Und obwohl sie ihre Finger tief an die Wurzeln der 60er-Jahre legt, obwohl sie beim Graben auf Neil Young und die große Folk-Blueserin Odetta gestoßen sein muss, mag man ihr kein Retro-Etikett ans Häkelkleid pappen. Auch das unterscheidet sie – neben dem Fehlen einer oft aufgesetzten Kauzigkeit – von vielen Protagonisten der neuen amerikanischen Folkszene. Ihre Lieder würden 1950 funktioniert haben und werden das auch 2050 noch tun.
Thematisch wichtig sind ihr wie jedem Folksänger die Erde, die Familie, die Tradition und die Umgebung, in der sie aufwuchs, was – weil Geborgenheit immer auch Entfremdung produziert – zur Folge hat, dass ebenfalls der Schmerz und die Sehnsucht in ihrer Musik einen Ort haben.
Manchmal erinnert sie entfernt an eine unneurotische und nicht so waidwunde Version Chan Marshalls (aka Cat Power) oder an eine weniger verhechelte Tori Amos, die mit ihrem Altern und ohne ihren Bösendorfer klarkommt. Neben dem begnadeten schottischen Singer/Songwriter Alasdair Roberts fällt mir kein Künstler ein, der derzeit auf so überzeugende Weise alte Folk-Traditionen aktualisiert wie Alela Diane.
Alela Diane hat ein zeitloses und ungeheuer ergreifendes Folk-Album aufgenommen, das mir Tränen in die Augen treibt. Nicht, weil es so traurig wäre, sondern weil es so gut ist.
(spex.de)
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